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Saarländischer Verfassungsgerichtshof kritisiert Corona-Gästelisten

Ich maulte noch wegen der Zweckentfremdung der Corona-Listen; im Saarland ist nun sehr deutlich in einem Beschluss formuliert worden, dass sowas nicht geht und die Daten auch schnell wieder gelöscht werden müssen:

Personenbezogene Daten, die auf ihrer [Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie] Grundlage erhoben werden, sind durch die die Daten erhebenden Stellen – soweit nicht Gefahr im Verzug vorliegt – ausschließlich aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung zu Zwecken der Verhinderung der Ausbreitung des Infektionsgeschehens – soweit nicht auf der Grundlage von Bundesrecht eine Herausgabe zulässig sein sollte – auf zu begründenden Antrag den Gesundheitsbehörden herauszugeben. Der Betroffene ist von dem Antrag auf Herausgabe zu unterrichten. Ihm ist vorheriges rechtliches Gehör zu gewähren. In Fällen einer Herausgabe bei Gefahr im Verzug ist er nachträglich unverzüglich zu unterrichten.

Und warum so streng? Die Begründung:

Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt werden, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden.

Die im ersten Zitat genannte "Gefahr im Verzug" als Hintertürchen bezüglich des Verbots der zweckfremden Verwendung wird so definiert. Beispiel: Die Polizei darf in eine Wohnung eindringen (auch ohne richterlichen Beschluss), um der Vernichtung von Beweismitteln, die eine Straftat nachweisen würden, entgegenzuwirken.

"Gefahr im Verzug" lässt sich aus meiner Sicht unangemessen weit auslegen. Und ich hege den Verdacht, dass dieser Spielraum gerade im Rahmen der Corona-Situation sehr großzügig ausgenutzt wird.

Eigentlich in diesem Blog offtopic, aber ich kanns mir nicht verkneifen: Auch zum Thema Maskenpflicht, deren Rechtmäßigkeit ein Anwalt anzweifelte, gibt es ein Statement.

Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei – nicht zuletzt angesichts des Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers – verfassungsgemäß. Maßgebliche Wissenschaftler hätten ihre Sinnhaftigkeit ebenso bestätigt wie die WHO, die ihre ursprünglich kritische Haltung inzwischen aufgegeben habe.

[...]

Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist auch ein erforderliches Mittel zur Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie. Ein gleich wirksames milderes Mittel ist – unter Berücksichtigung der auch insoweit bestehenden Einschätzungsprärogative der Regierung – nicht ersichtlich.

Insgesamt Beifall von mir für die Saarländer.

EDIT [8.9.2020]: Ich will noch den Kontext vervollständigen, in dem der Beschluss gefasst wurde. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat ein Anwalt Beschwerde eingereicht, weil er sowohl die Maskenpflicht als auch die Corona-Besucherlisten für verfassungswidrig hält. In größeren Teilen wurde seine Verfassungsbeschwerde abgelehnt. Zum Thema Corona-Listen gab es aber aus meiner Sicht den beschriebenen, positiven Nebeneffekt der Abermals-Betrachtung seitens der Verfassungshüter.

Sieht man mal von den gesetzlichen Grundlagen ab, halte ich Corona-Listen durchaus für sinnvoll. Sehr sogar. Mir fällt spontan keine unkomplizierte Variante ein, wie man sonst Infektionen nachverfolgen kann, ohne noch viel invasiver vorzugehen.

Zwei Probleme, die immer noch nicht gelöst sind:

  1. Es werden mitunter viel zu viele Daten erhoben. Gebot der Datensparsamkeit. Wenn ich beim Friseur, der die Gästelisten offen rumliegen lässt, nicht nur Name und Telefonnummer hinterlegen soll, sondern gleich noch meine Adresse, Geburtsdatum, E-Mail-Adresse und andere Details, ist das gleich auf mehreren Ebenen ein schwerwiegender Unfall.
  2. Die Corona-Gästelisten sind weiterhin nicht absolut zweckgebunden.

Nach einer Nacht drüber schlafen bin ich also zu dem Schluss gekommen, dass mein Applaus fürs Saarland eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Er wäre es, wenn es für die Listen eine absolute Zweckbindung gäbe. Ist aber nicht der Fall.