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Zum Thema Verfassungsschutz-Gesetzesanpassung

Zum Wochenende kurze Zitate aus einem Plenarprotokoll des Bundestages (ab Seite 6). Kontext gibt es hier. Die Worte stammen aus dem Mund von Thorsten Frei (CDU).

Es gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bundesland, das in seinem Verfassungsschutzgesetz das Instrument der Onlinedurchsuchung verankert hat, nämlich Bayern. In Bayern gibt es ganz praktische Fälle, an denen man sehen kann, dass durch die Möglichkeiten der Onlinedurchsuchung Anschlagspläne tatsächlich vereitelt werden konnten und Extremisten in Haft genommen werden konnten. Das ist ein gutes Beispiel. Das ist Best Practice.

(Beispiele bleibt er trotz Nachfrage direkt aus dem Plenum schuldig.)

Wenn man die Anschläge auf Utoya oder in Christchurch, Halle oder Hanau analysiert, dann kann man feststellen, dass sich die Täter im stillen Kämmerlein radikalisiert haben, dass das Radikalisierungen Introvertierter waren. Da brauchen wir für den Verfassungsschutz die Möglichkeit, dass er denjenigen – das ist schwierig genug bei solchen Täterprofilen – durch das Beobachten von entsprechenden Foren und dergleichen tatsächlich auf die Spur kommen kann. Das ist notwendig, das brauchen wir, und dafür müssen wir dem Verfassungsschutz auch die Möglichkeiten geben.

Diese Gesetze werden nicht im Mindesten zur Sicherheit der Bevölkerung beitragen. Das ist eine dermaßen dramatische Irreführung, dass sie ahndbar sein sollte.

Dieser ganze Quatsch mit Radikalisierung in Whatsapp, "Chatforen", Facebook und so weiter: Das juckt die Leute, die sich ernsthaft organisieren und die Bevölkerung ernsthaft gefährden wollen, nicht im Mindesten. Die finden Wege der Kommunikation, die sich jeglicher Wahrnehmung durch deutsche Geheimdienste entziehen.

Was Herr Frei hier an schlimmen Ereignissen rausgepickt hat, die durch Totalüberwachung verhindert werden sollen, waren Verbrechen von völlig fehlgeleiteten Menschen. Menschen, die aufgrund persönlicher, spezieller Umstände zu Tätern wurden. Sie wurden zu Tätern, weil sie Einflüssen ausgesetzt wurden. Kein Mensch ist per default ein linker oder rechter oder christlicher, islamistischer oder jüdischer Gewalttäter. Radikalisierung erfolgt durch Erlebnisse oder soziale Umfelder, vielleicht auch durch intensive Lektüre von fehlgeleiteten Autoren. Die Täter sind schuldig und verurteilbar, das ist nicht die Frage. Die Frage ist, wie man diese Radikalisierung verhindern oder abmildern kann.

Anders Breivik war lange bekannt. Sein Gedankengut war unter anderem im Netz frei erreichbar, bevor er Amok lief. Da hätten Überwachungbefugnisse, die grundgesetzfeindliche Methoden und Onlinedurchsuchungen gestatten, nicht geholfen. Warum? Weil Breivik überhaupt niemandem aufgefallen ist, trotz seiner öffentlichen Bekenntnisse zu Freimaurern, rechtsradikalem Gedankengut und Islamhass. Er stand ja sogar mal unter Beobachtung, war aufgefallen durch Kontakte in rechtsradikale Milieu.

Dass er eines Tages soweit radikalisiert war, dass er viele Menschen umbrachte, ist deshalb unter dem Radar durchgerutscht, weil es völlig unmöglich ist, alle Menschen hinreichend zu überwachen, egal wie viel technischen Aufwand man betreibt. Es wird immer wieder einen Breivik geben, wahrscheinlich sogar cleverere als ihn. Oder Attentäter wie in Christchurch, Hanau, Halle. Und es spielt auch keine Rolle, ob hier eine politische, religiöse oder sonstwie geartete Radikalisierung vorliegt.

In der Politik geht es immer auch darum, das Bestmöliche zu erreichen, in diesem Falle das Bestmögliche für unsere Sicherheit. Ich will ganz klar sagen, dass wir, wenn unsere Fraktion hätte alleine entscheiden dürfen, an dieser Stelle weitergegangen wären.

[...]

Man hätte bei diesem Gesetz durchaus noch etwas mehr Mut aufbringen können. Wir dürfen, auch wenn wir über Themen wie Speicherung von Daten Minderjähriger sprechen, eines nicht vergessen: Es geht nicht um Fragen der Strafverfolgung, es geht um Gefahrenabwehr, es geht um die Sicherheit in unserem Land. Dafür muss das Notwendige getan werden.

Mutiger bedeutet in diesem Fall: Gegen Widerstände aus Politik und Gesellschaft, die sich gegen die Folgen der Überwachung zurecht zu wehren versuchen. Ganz spezielle Art von Mut ist das.

Gefahrenabwehr statt Strafverfolgung bedeutet: Präventive, anlasslose Überwachung und somit ein Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung.

Ich weiß nicht, welche persönlichen Erlebnisse Herrn Frei geprägt haben, die dazu führen, dass er die Positionen vertritt, die er vertritt. Aber ganz sicher radikalisiert auch er sich und andere, nämlich hin zu der Überzeugung, dass nur eine Totalüberwachung der Bevölkerung der richtige Weg sei. Damit ist er aus meiner Sicht kein angemessener Repräsentant der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland und verdient auch kein Mandat als Mitglied des Bundestags. Er ist auch fehlgeleitet.

Was hat so eine Totalüberwachung zur Folge? Eigentlich nur, dass das Volk aus Angst vor freier Meinungsäußerung seine Kontrollbefugnisse gegenüber Volksdienern wie Herrn Frei immer weniger ausnutzen kann - die Prinzipien der Demokratie werden völlig wertlosen Sicherheitsargumenten geopfert.

Um noch mal auf die Frage zurückzukommen, wie man Radikalisierung verhindern kann: Es beginnt damit, genau hinzuschauen, was ihr bei der kommenden Bundestagswahl so ankreuzt. Ich spreche hier keine Empfehlung aus, informieren müsst ihr euch schon selbst. Aber das Kind mit dem bereits verabschiedeten Überwachungsgesetz ist schon in den Brunnen gefallen und ersoffen - Gratulation, Deutschland.

Vielleicht schafft ihr es ja, zukünftige Kinder zu retten, indem ihr euch für eine gerechtere Gesellschaft einsetzt, in der nicht die Wirtschaft die erste Geige spielt. Die Begünstigung derselben in den vergangenen Jahrzehnten trägt nämlich wesentlich zu der aktuellen Situation sozialer Ungerechtigkeit bei, die eine der tragenden Säulen der Radikalisierung in der Bevölkerung ist. Wie wäre es stattdessen mal mit Volksvertretern, die die Umwelt mitsamt der darin lebenden Wesen (auch Menschen) in den Mittelpunkt rückt? Die für einen Systemwechsel stehen, der als Resultat eine sozial- und naturschutzorientierte Politik produziert. Sonst wird es in ein paar Generationen keine nennenswerte Gesellschaft mehr geben.