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FACEBYE, Episode III: Antisoziale Medien


FACEBYE ist eine Beitragsserie rund um das Thema Alternativen zu Datenkraken und Monopolen im Internet. Die Themen-Übersichtsseite findet ihr hier.


Zwei Meinungen zum Thema Social Media, die schon eine Weile kursieren:

  1. Social Media ist wie ein Krankheitserreger, der beseitigt werden muss. Er hat Schuld an so vielen gesellschaftlichen Problemen, dass die großen Social-Media-Plattformen nicht länger tragbar sind.
  2. Social Media ist nicht das Problem, sondern dessen Nutzer. Wenn die zu blöde sind, Filterblasen richtig einzuschätzen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Handy wegzulegen, ihre Aufmerksamkeitsgeilheit zu zügeln und zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden, kann man ihnen auch nicht helfen.

Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen.

Zu Stimme 1: Social Media is evil

Monopolistische Plattformen, die die Möglichkeit und Intention haben, Meinung und Wahrnehmung sehr großer Bevölkerungsanteile zu manipulieren, sind ein Problem. Facebook ist ein Problem. Twitter ist ein Problem. Tiktok ist ein Problem. Youtube ist ein Problem. Whatsapp (auch stellvertretend für andere Messenger) ist ein Problem. Warum? Wegen ihrer Reichweite. Weil sich die Betreiber, so gut es ohne schmerzhaften Imageverlust geht, jeglicher Verantwortung entziehen. Wegen Anonymität der Nutzer; kinderleichtem, risikoarmem, folgenschwerem Mobbing; Profiling zu Werbezwecken und Profitmaximierung; Verlust der Datenhoheit für die Nutzer. Weil kommerzielle Interessen allem voranstehen. Das führt letztendlich auch zu Einmischung in die Politik (WSJ Paywall) - denn die Pfründe einer quasi-monopolistischen Plattform müssen dringend durch Lobbyarbeit beschützt werden.

Aber Social Media hat auch gute Seiten: Es ermöglicht Gemeinschaft auf Distanz (wie gut das hilft, sehen wir gerade während der Corona-Krise). Es ermöglicht den informationellen Austausch von Interessensgruppen, z.B. für gemeinnützige Organisationen oder Vereine. Es löst viele kleine Alltagsprobleme, z.B. schnelle Terminabstimmungen, unkomplizierte Liebesbezeugung zwischendurch, Katzen- und Babybild-Madness, Einkaufslisten an den Partner schicken ...

Zu Stimme 2: Selbst schuld

Es ist sehr leicht (und technisch logisch) zu sagen: Menschen sind selbst verantwortlich für sich und ihre Taten. Man geht davon aus, dass Leute ab einem gewissen Alter über ein ausreichendes Erfahrungskapital verfügen, das sie dazu befähigt, "vernünftige" Entscheidungen zu treffen. Das wäre der Idealzustand.

Nun ist auch "Vernunft" ein interpretationswürdiger Begriff. Aber ich setze für mich an dieser Stelle die Definition, dass ein vernünftiges Verhalten dazu führt, dass Menschen bei ihrem Tun vermeiden, sich oder anderen Schaden zuzufügen. Was auch bedeutet, dass sie Social Media möglichst so nutzen sollten, dass es weder ihnen selbst noch anderen schadet.

Vernunft? Freier Wille? Alles Schmunst...

Die Menschheit ist ein ziemlich wildes Gewächs. Manche Leute haben einen stärkeren, "freieren" Willen als andere, und auch die damit (aus meiner Sicht verwandte) Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die vernünftig sind und eventuell unvernünftigen, emotions-/triebgesteuerten Neigungen diametral entgegenstehen. Die Diskussion über die Freiheit des menschlichen Willens gibts seit Menschengedenken und sie fordert auch Hirnforschung, Psychologie, Philosophie hart heraus.

Andere Leute sind weniger frei, zum Beispiel weil sehr einsam; manche sind krank, manche sind süchtig, manche sind störrisch, manche sind extrovertiert und aufmerksamkeitssüchtig, manche sind introvertiert und still. Manche haben sehr viele "echte" Bekanntschaften und sind für Geselligkeiten nicht aufs Internet angewiesen. Andere meiden Menschen und es ist ihnen gerade recht, wenn sie Freundschaften mit Leuten schließen können, die ihnen nicht physisch auf die Pelle rücken. Manche sind Engel, andere sind Arschlöcher.

Menschen haben Schwächen. Die führen dazu, dass sie sich in bestimmten Bereichen beeinflussen, blenden lassen; dass sie sich in Gedanken- und Meinungsblasen verirren und nicht wieder herausfinden. Menschen versuchen, energieeffizient zu sein; man könnte auch sagen, sie sind faul und/oder konfliktscheu. Sie sind leichtgläubig. Sie können konditioniert werden.

Wenn also Konzerne wie Facebook enorme Anstrengungen unternehmen, die effizientesten Psychotricks zu entwickeln und anzuwenden, damit Menschen möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen, und wenn sie dabei alle menschlichen Schwächen maximal ausnutzen, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen, kann man die Schuld eben nicht nur auf das "dumme Uservolk" schieben.

Weitere Probleme:

Eigentlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht. Er sollte dafür sorgen, dass Bürger vor allzu mächtigen, schädlichen Entitäten geschützt werden (ohne die Bürger dabei zu sehr zu bevormunden). Eigentlich müsste man Facebook zurechtstutzen und zum Beispiel erzwingen, dass diese ganzen kleinen Psychotricks abgeschafft werden, die die Leute so sehr an Facebook binden, dass sie den ganzen Tag auf ihr Smartphone starren und dabei ihre Kinder vernachlässigen.

Aber diese ganzen kleinen Psychotricks sind für sich allein genommen ja keine Probleme, sondern willkommene Features. Ich habe Facebook früher auch einmal benutzt, das ist schon ein Jahrzehnt her. Ich kenne gar nicht alle neuen Features. Aber die drei im Folgenden genannten genügen zu argumentativen Zwecken:

  1. Freundesliste - die Sammelwut - je mehr desto besser, und es spielt keine Rolle, ob man mit den Leuten in der Liste wirklich eine ernst zu nehmende, freundschaftliche Beziehung pflegt.
  2. Timeline mit Kommentaren und Selbstdarstellung - immer zeigen, was man tolles gemacht hat und wie schön das Leben oder wie erfolgreich die Arbeit ist. Ich kenne Paare, die sitzen nebeneinander auf dem Sofa und schreiben sich Nachrichten über Facebook, um auf der Plattform ihre Zweisamkeit öffentlich zu dokumentieren.
  3. Fotogalerie, die man öffentlich oder auch privat teilen und zukommentieren kann.

Wenn man nun diese und andere Aufmerksamkeitsmagneten auf staatliches (oder anderes) Geheiß entfernen würde, dürfte der öffentliche Aufschrei riesig sein. Entmündigung! Eingriff in die Persönlichkeitsrechte! Bevormundung! Skandal!!!!

Was wäre, wenn der Staat mit einer faktenorientierten Informationskampagne dafür sorgen würde, dass die Menschen für die Probleme mit sozialen Medien sensibilisiert werden? Und der Bevölkerung so die Wahl lässt, zu tun was sie für richtig hält? Würde dann Facebook Amok laufen und drohen, die Dienste im Land einzuschränken oder abzuschaffen und somit die Bürger gegen den Staat aufbringen?

Würde der Staat überhaupt wollen, dass die Leute Facebook weniger nutzen?

Wie steht es um die Vertreter von Staat und Politik - sind die vielleicht selbst so Facebook-, Twitter- und Whatsapp-süchtig, dass eine Einschränkung dieser Plattformen einer Verstümmelung des Organs gleichkäme, mit dem man den eigenen Geltungsdrang befriedigen kann?

Also echt, he. Wo man hinschaut - nur Sackgassen.

Und jetzt? Auf die beschränkte Vernunft der Menschen hoffen? Oder einen staatlichen Hintern in der Hose ranzüchten, der eine unpopuläre Entscheidung trifft? Ich wette, da gehen dann viele Leute an die Urnen, um die Regierung aus dem Amt zu wählen, die Facebook abgeschafft hat.

Menschen brauchen immer einen Leidensdruck, bevor sie sich auf Veränderungen einlassen. Im Falle Social Media und Privatsphäre wird der Leidensdruck erst dann hoch genug sein, wenn es schon zu spät ist und eine Regierung am Werk ist, die mit den versammelten Daten ziemlich unschöne Dinge tut. Aber wenn die Daten mal im Umlauf sind, sind sie im Umlauf. Dann ists zu spät.

Wie wärs mal mit Lösungsansätzen statt Jammern?

Ich betreibe zum Beispiel einen privaten Mattermost-Server. In dem sind ein paar Bekannte und Familie versammelt, um miteinander jenseits der normalen Social-Media-Kanäle ungestört zu kommunizieren. Aber ich habe Zweifel, dass ich hier auch Nachbarn, Arbeitskollegen, Vereinsmitglieder in größeren Mengen reinkriege. Gründe:

Äh, ich brauch mal Pause. Das ist ja alles niederschmetternd. Fortsetzung folgt...