FACEBYE, Episode III: Antisoziale Medien, Fortsetzung
FACEBYE ist eine Beitragsserie rund um das Thema Alternativen zu Datenkraken und Monopolen im Internet. Die Themen-Übersichtsseite findet ihr hier.
Ich wollte ja noch mehr schreiben zum Thema FACEBYE: Antisoziale Medien. Den Beitrag von neulich habe ich aus Zeit- und Launegründen unterbrochen und eine Fortsetzung versprochen. Hier ist sie.
Im ersten Part des dritten Teils habe ich geheult, was aus meiner Sicht alles falsch läuft mit den aktuell großen Anbietern sozialer Netzwerke. Filterblasen, mangelnde "echte" soziale Interaktion, Aufmerksamkeits-Diebstahl, Lobbyismus bzw. politische Motivationen etcpp. - alles zumindest theoretisch auch eine Gefahr, wenn man andere Dienste nutzt als Facebook oder Twitter, keine Frage. Ich will die Probleme im Folgenden noch einmal clustern, um zu erklären, wie ich zu den Schlüssen komme, die ich hier im Verlauf ziehe.
Kommerzielle Interessen
Sind aus meiner Sicht das größte Problem an der Geschichte. Denn kommerzielles Interesse führt dazu, dass User mit ALLEN Mitteln dazu gebracht werden, möglichst viel Zeit auf einer Plattform zu verbringen. Denn Zeit bzw. Aufmerksamkeit bedeutet Profit.
Streicht man diese kommerziellen Interessen aus der Gleichung, verschwindet schon mal das Problem, dass die User mit unlauteren Mitteln dazu gebracht werden müssen, die Plattform heimzusuchen. Dadurch erledigen sich zum Beispiel auch die vom Betreiber absichtlich entwickelten Filterblasen (ein User kann sich natürlich selbst eine zusammenklicken, aber das ist dann nochmal was anderes).
Zentralisierung der Daten
Auch ein großes Problem. Nimmt man diese Zentralisierung aus der Gleichung, ergeben sich gleich mehrere Vorteile:
- Erschwerte Zensur
- Erschwertes Profiling bzw. Missbrauch von Datensammlungen
- Wenn gewünscht, ist Anonymität (bzw. wenigstens Pseudonymität) leichter umsetzbar
- Geringere Schäden beim Ausfall bzw. Einbruch in eines der Systeme, weil nur eine (hoffentlich geringe) Teilmenge von Usern des Netzwerks betroffen ist, und nicht gleich Milliarden Menschen
- Theoretisch höhere Stabilität der demokratischen Teilhabe, da der Ausfall einzelner Instanzen nicht gleich zum Zusammenbruch der globalen Austauschs führt
Risiken der Non-Profit-Dezentralisierung
- Höheres Teil-Ausfallrisiko durch die Tatsache, dass Non-Profit-Betreiber, inbesondere Einzelkämpfer, einfach verschwinden - sie haben ihre Zeit und ihr Herzblut zur Verfügung gestellt, können oder wollen das aber aus Gründen nicht mehr weiter tun. Ähnliches Problem wie bei vielen Open Source Projekten.
- Zudem gibt es die Gefahr, dass die Verbreitung von nicht hilfreichen Informationen, zum Beispiel Fake News, demokratiegefährdende Inhalte, Mobbing, etc. schwerer zu ahnden, unter Kontrolle zu bringen oder zu beseitigen sind. Die potenzielle Anonymität z.B. fördert Fehlverhalten. The Verge liefert hier einen Artikel ab, der das Problem im Hinblick auf Nazis beschreibt, die sich in diesen der Öffentlichkeit weniger bekannten Netzgebieten breit machen.
- Dezentralisierung ist aufwändiger, kostenintensiver, ressourcenfressender. Und es ist schwer, hier eine Kosten-Nutzen-Rechnung für den einzelen User hinzubiegen, dass Dezentralisierung für ihn attraktiv wird
- Noch mehr? Vielleicht fällt mir - oder euch - noch was ein... (und ich meine nicht technische Probleme, sondern konzeptionelle, soziale, organisatorische). Dann ergänze ich das hier noch.
Lösungsansätze, teilweise bereits vorhanden:
- Lokale Plattformen/Instanzen mit einer begrenzten Anzahl von Menschen, die sich aber instanzübergreifend verständigen können. Bereits vorhanden, siehe z.B. Mastodon bzw. Fediverse
- Reduktion der Menschenmassen pro Instanz deshalb, damit Moderation/Ausgleich möglich ist. Schwarze Schafe gibts immer. Aber wenn zu viele auf einen Haufen kommen, ist es nicht mehr möglich, sinnvoll und menschenwürdig regulierend einzugreifen - siehe Facebook.
- Anonymität zwar erlauben, aber die so erzeugten Inhalte einer stärkeren Kontrolle unterziehen als solche, bei denen der Ersteller sich eindeutig identifiziert. Geht mir hier aber nicht um Zensur im Sinne der Unterdrückung von zum Beispiel politischen Gesinnungen, sondern um den Schutz von Menschen vor Mobbing. Heißes Eisen, ist mir klar - wo und wie und wann darf wer Grenzen ziehen?
- Gemeinnützige Firmen/Organisationen als Betreiber einzelner Instanzen - auch deshalb mit begrenzter Menschenmasse, um Macht einzuschränken und Verwaltung/Betrieb zu erleichtern
- Finanzierung dieser Firmen/Organisationen durch die Nutzer mit staatlicher Subventionierung, ohne Möglichkeit der inhaltlichen Einflussnahme durch den Staat (außer bei Problemen mit Verfassungswidrigkeiten). Policing nicht durch Staat, sondern die jeweilige Firma/Organisation.
- Halte ich für ziemlich illusorisch, weil der Staat in seiner gegenwärtigen Ausprägung wohl kaum ein Interesse daran hat, Plattformen zu unterstützen, die er nicht kontrollieren bzw. überwachen kann.
- Daher bleibt wohl nichts anderes übrig, als dass das Volk hier die Finanzierung auch ohne staatliche Unterstützung realisiert. Da wirds dann schon zunehmend schwierig mit dem Hinbiegen der Kosten-Nutzen-Rechnung.
- Gesetzliche Regelung, die die unkontrollierte, uninformierte, unerwünschte Weitergabe personenbezogener Daten aus diesen Instanzen komplett unterbindet, es sei denn, der Betreiber entdeckt rechts-/verfassungswidriges Verhalten, das er dann wiederum an die Behörden melden sollte. Aber nix mit unerkannter Abschnullerei der Daten durch Geheimdienste, Behörden oder Firmen. Übrigens auch ein Grund, warum Verschlüsselung UNBEDINGT weiter legal sein muss
In jedem Fall ist Initiative gefragt - sowohl derer, die willens und fähig sind, Instanzen zu betreiben, als auch derer, die sie dann nutzen. Umdenken und Anpassung sind erforderlich und immer eine schwierige Hürde, denn Menschen sind Gewohnheitstiere. Es müssen Angebote geschaffen werden, die attraktiv genug sind, dass sich große Mengen von Menschen dazu genötigt fühlen, mitzumachen und den großen Datenkraken endlich den Rücken zuzukehren.
Und wie stellen wir das an? Ich habe noch keine konkrete Idee.
Mein pessimistisches Ich geht davon aus, dass der Leidensdruck nie RECHTZEITIG groß genug sein wird, damit die Leute sich bewegen.
EDIT: Beim Rumklicken bin ich noch auf einen Beitrag vom rC3 gestoßen, der das Thema Dezentralisierung umreißt.