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Dashcams erlaubt - ja, nein, jein, vielleicht, weil aber...

In gewisser Weise stiftet der Bundesgerichtshof zu rechtswidrigem Verhalten an. Natürlich hat die in einem speziellen Fall zuständige Richterschaft nicht offen gesagt: Hey, scheiß auf Datenschutz. Aber indirekt irgendwie doch.

Wie komme ich drauf? Im Bekanntenkreis hat sich eine Person, die in einen Unfall verwickelt war, darüber beschwert, dass sie ihre Unschuld nicht beweisen kann und dass dies zu großen finanziellen Problemen führt. Die gegnerische Partei will auch unschuldig sein. So steht Aussage gegen Aussage; am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass sich die Unfallbeteiligten in die Schäden reinteilen müssen. Obwohl laut der Aussage meines Bekannten eindeutig nur eine Partei schuldig sei, nämlich die gegnerische.

Naja, was soll ich sagen - im Zweifel hält man zu seinen Leuten, ich sage also auch: Der Unfallgegner war schuld. Ganz heftig und ganz arg schuldig war der! Und ist es hoffentlich immer noch.

Warf ein anderer Bekannter ein: Na, hättste mal eine Dashcam gehabt!

Solche Teile montiert man sich im Auto, um Videoaufzeichnungen während einer Fahrt anzufertigen. Dadurch lassen sich viele Unfallsituationen nachvollziehen und eventuell klarstellen, wer einen Unfall verursacht hat. Versicherungen finden das natürlich toll, zwecks Risikominimierung (besser: Gewinnoptimierung). Auch niedrigere Beiträge als Lockmittel und so.

Ich weiß nicht, was passiert, wenn man einen Unfall verursacht hat, und dies dann auf dem Video nachvollziehbar ist. Ob dann, wenn mit der Versicherung eventuell ein entsprechender Vertrag aufgesetzt wurde, ein Aussageverweigerungsrecht ausgesetzt wird, und die Videoaufnahmen zwingend abzuliefern sind. Und man dann eventuell mit drakonischen Beitragsaufschlägen rechnen darf. Oder wenn das Video plötzlich abhanden kommt, ob das dann strafbewehrter Vertragsbruch ist... interessante Frage für ein anderes Mal. Expertenfeedback ist an dieser Stelle sehr willkommen.

Zurück zu den Dashcams: Sie zeichnen den öffentlichen Raum meist vor dem Auto auf und in den Videos sind dann unter Umständen jede Menge personenbezogener Daten enthalten. Von Kennzeichen über Gesichter über Automarken- und Modelle, Mitfahrer, Fluchen, Stinkefinger, Uhrzeiten, Orte, und wasweißichnochalles.

Anlasslos und ohne Einverständnis Betroffener dürfen personenbezogene Daten eigentlich nicht erhoben werden. Deshalb ist das Nutzen einer Dashcam entsprechend datenschutzrechtlicher Bestimmungen unzulässig.

Dennoch kommt der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass die Aufnahmen verwertbar seien, das heißt, sie können als Beweismittel in einem Unfallprozess genutzt werden.

Die vorgelegte Videoaufzeichnung ist nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig. Sie verstößt gegen § 4 BDSG, da sie ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgt ist und nicht auf § 6b Abs. 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 BDSG gestützt werden kann. Jedenfalls eine permanente anlasslose Aufzeichnung des gesamten Geschehens auf und entlang der Fahrstrecke des Klägers ist zur Wahrnehmung seiner Beweissicherungsinteressen nicht erforderlich, denn es ist technisch möglich, eine kurze, anlassbezogene Aufzeichnung unmittelbar des Unfallgeschehens zu gestalten, beispielsweise durch ein dauerndes Überschreiben der Aufzeichnungen in kurzen Abständen und Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeuges.

Dennoch ist die vorgelegte Videoaufzeichnung als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess verwertbar. Die Unzulässigkeit oder Rechtwidrigkeit einer Beweiserhebung führt im Zivilprozess nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Über die Frage der Verwertbarkeit ist vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden.

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Das Geschehen ereignete sich im öffentlichen Straßenraum, in den sich der Beklagte freiwillig begeben hat. Er hat sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Es wurden nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind. Rechnung zu tragen ist auch der häufigen besonderen Beweisnot, die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist. Unfallanalytische Gutachten setzen verlässliche Anknüpfungstatsachen voraus, an denen es häufig fehlt.

Die Argumentation mag auf den ersten Blick ganz vernünftig klingen, geht ja hier um Kohle und Asche, Schuld und Sühne, Stolz und Urteil.

Die Frage ist: Was soll man den Leuten raten? Dem oben beschriebenen Stand nach ganz klar: Begeht bitte einfach massenhaft Rechtsbruch, installiert euch Dashcams, scheißt auf Datenschutz, sichert euch ab, sonst seid ihr im Zweifel die Gelackmeierten, auch wenn ihr unschuldig wart.

Statt de facto die Nutzung von Dashcams zum notwendigen Übel zu erklären, hätte aus meiner Sicht der BGH an dieser Stelle die Reißleine ziehen müssen und sagen: Datenschutz ist Datenschutz. Da hat jemand wissentlich gegen geltendes Recht verstoßen. Videoaufnahmen sind nicht als Beweismittel zulässig. Es müssen andere Methoden entwickelt werden, die datenschutzfreundlicher sind, standardisiert und zertifiziert. Es wäre problemlos möglich, Standards und Zertifizierungen zu entwickeln. Man müsste nur wollen. Und das nicht die Industrie machen lassen, sondern von Experten auf der hellen Seite. Aber Experten in den eigenen Rängen sind in Politik und Gesetzgebung nicht mehr zeitgemäß.

EDIT: Ich wurde deutlich darauf hingewiesen (zurecht, da habe ich mich nicht ausreichend informiert), dass es Dashcam-Systeme gibt, die das Aufzeichnen entsprechend der Vorstellungen des BGH beherrschen. Also z.B. die nur kurzzeitige Speicherung, anlass-bezogen, nur bei hohen G-Kräften, wie sie im Falle eines Unfalls vorliegen, usw. - also im Sinne einer Datensparsamkeit, damit wirklich nur die Menge an Daten gespeichert wird, die zur Beweisführung nötig ist.

Ändert aber nichts an der Tatsache, dass der BGH im o.g. Fall eine unzulässige Aufnahme als Beweismittel zugelassen hat. Was auch dazu führen dürfte, dass sich einige Leute nicht wirklich darum scheren, ihre Dashcams so einzustellen, dass sie datenschutzkonform arbeiten.